„Mit Krücken und Rollator…“
U100-Floorballer des UHC Döbeln trainieren seit zwei Jahren im Schutz der Dämmerung und haben jetzt ihr erstes echtes Spiel
Döbeln. „Wir beginnen unsere Sportstunde mit einem kräftigen SPORT…“, ruft Erik Simon in den frühen Freitagabend in der kleinen Halle in Döbeln-Nord – „FREI!“ schallt es aus zwölf Mündern und ein amüsierter Unterton ist dabei nicht zu überhören. Schuhspitze an Schuhspitze stehen sie aufgereiht da, an einer imaginären Linie – die U100-Floorballer des UHC Döbeln 06. Vor der Truppe liegen anderthalb Stunden Training, die – auch für Außenstehende – durchaus einen gewissen Unterhaltungswert besitzen.
Heute ist die Aufregung besonders groß. Nach zwei Jahren Trainingsbetrieb im Schutz der Freitagabenddämmerung bereitet sich die Gruppe auf ihr erstes richtiges Spiel vor. Und das bedeutet ein gewisses Maß an Öffentlichkeit. Noch knapp zwei Wochen und kein weiteres Training mehr, dann empfangen die Senioren des UHC Döbeln einen ihnen völlig unbekannten Gegner aus Böhlen zum freundschaftlichen Vergleich. „Das sollen nur Männer sein“, sagt Eva Haase und zuckt die Schultern. „Keiner weiß, wie alt die sind, wie die trainieren, oder ob die schon öfter Spiele bestritten haben.“ Ein wenig Verunsicherung ist da schon zu spüren. Gemeinsam mit ihrem Mann ist Eva Haase wie die meisten anderen im Team Gründungsmitglied der U100. Spaß zu haben steht hier im Vordergrund, die Liebe zu dem schnellen Spiel mit Plastikball und Stock hat die Männer und Frauen zusammengetrieben. Und wo es normalerweise der Nachwuchs ist, der bei der Entscheidung für eine Sportart in die Fußstapfen der Eltern tritt, ist es bei den Floorball-Oldies genau umgekehrt: Fast ausnahmslos sind es Mütter und Väter, deren Leidenschaft für diesen Sport durch die Aktivitäten ihrer Sprösslinge geweckt wurde. Hier ist – bis auf einen – keiner unter 40 Jahre jung. Frank Weinberg bildet die Ausnahme, welche die berühmte Regel bestätigt: Mit seinen gerade einmal 34 Jahren ist er in diesen Kreisen regelrecht ein junger Hüpfer. Nur Erik Simon ist noch jünger als er – der Trainer der Floorball-Senioren ist flotte 18 Jahre jung und spielt selbst in der Herren-Regionalliga-Mannschaft des Vereins. Seiner Kreativität ist es vorbehalten, wie sich das Training gestaltet. Und das unterscheidet sich gar nicht so sehr von den Ãœbungsstunden der Jüngeren im Verein. Auch Oldies versuchen sich am Schwedenkreisel, trainieren Unterzahlsituationen und Torschüsse. Und ja: Ein gewisser Ehrgeiz kann und muss jedem Einzelnen in der Truppe bescheinigt werden. Den Trainer beflügelt das, sukzessive auch mal schwierigere Kombinations-Ãœbungen zu probieren. „Das mag jetzt vielleicht ein bisschen kompliziert klingen am Anfang, aber es macht schon Sinn“, leitet der Coach die nächste Versuchsanordnung ein. Andächtig schweigend folgt die Gruppe seinen Ausführungen. „Nochmal bitte“, ist schließlich aus dem Lager der Frauen das Verlangen zu vernehmen, die Ãœbung erneut erklärt zu bekommen. Gekicher in der Runde. „Wir machen das jetzt wie immer hier – erstmal gaaaaaanz langsam“, nehmen sich die Männer selbst auf die Schippe und feixen. Hier macht zwar jeder ordentlich mit und entwickelt im Spiel und während jeder Ãœbung einen erstaunlichen Ehrgeiz und geradezu kindlichen Eifer dabei, alles richtig zu machen – allzu ernst aber nehmen sich die Floorball-Oldies dabei selbst nicht.
Heute versucht Erik Simon, seinen Schützlingen noch schnell das Wechselprinzip während des Spiels beizubringen. Ein Unterfangen, das sich schwieriger als erwartet gestaltet. Zum ersten Mal in der zweijährigen Geschichte der Trainingsgruppe wird diese in drei Reihen unterteilt – wie es im richtigen Floorball-Leben eben üblich ist: „Silke, Jens, Lutz und Frank – ihr seid Reihe eins“, ruft Erik Simon seinen Auszubildenden zu. „Reiner, Jan, Jana und Eva die zwei. Birgit, Dietmar, Steffi, Dagmar und Axel Reihe drei.“ Im obligatorischen Abschlussspiel sollen die Erwachsenen, jeweils verpackt in verschiedenfarbige Leibchen, nun den regelgerechten Wechsel der Reihen probieren. Im Spiel gegeneinander geht es haarig zu, jedes Tor wird bejubelt, auch wenn der Endstand hier keinen wirklich ernsthaft interessiert. „Vorbereiten!“ Erik Simon kündigt den ersten Wechsel an, zappelig stehen die gelben Leibchen an der Bande, die roten sollen vom Spielfeld kommen. „Rot wechseln!“ Die Reaktion lässt auf sich warten, im Spielrausch jagen die beiden Teams auf dem Feld dem Ball hinterher, die Traineransage hört zunächst keiner. „Hey, Rot wechseln!!!“, ruft Erik Simon deutlich lauter und schwer atmend, mit hochroten Gesichtern kommen auch die letzten Spieler vom Feld geflitzt, um die andere Reihe ins Spiel zu lassen. Manch einer schaut verwirrt. „Trainer, das kannst du mit uns noch nicht machen…!“ Gelächter. Jetzt schaut Erik Simon verwirrt: „Mensch, das ist doch nicht so schwer. Wie lange schaut ihr uns schon beim Spiel zu?“
Dass zwischen bloßem Zuschauen und selbst aktiv Floorball spielen ein himmelweiter Unterschied liegt, weiß keiner besser als die U100-Aktivisten. Doch die haben einen Heidenspaß an ihrem Freitagabendtraining. Und probieren – mit Blick auf ihr bevorstehendes Spiel am kommenden Donnerstag und mit einer gesunden Portion Selbstironie – gleich noch einmal ihren Schlachtruf: „Mit Krücken und Rollator sind wir der Dominator!“ Na dann kann ja nichts mehr schief gehen.
Manuela Engelmann Döbelner Allgemeine Zeitung (19.05.2012)